Wir entdecken unsere Stadt (NEU) - Münchner Kindl

Munchner Kindl

Wir entdecken unsere Stadt (NEU) - Münchner Kindl

Sie glauben, Sie kennen sich in unserer Hauptstadt aus? Wenn Sie sich da mal nicht täuschen. Einige Gebäude, an denen Sie regelmäßig vorbeigehen, haben eine ganz besondere Geschichte. Dr. Robert L. Philippart ist ein wahrer Experte auf diesem Gebiet und begibt sich mit Ihnen auf Entdeckungstour zu verborgenen Geschichten, die Sie diese Wahrzeichen mit anderen Augen sehen lassen.

„Münchner Kindl“

Das ehemalige Bierlokal „Münchner Kindl“ an der Ecke Rue Chimay und Rue Notre-Dame gegenüber dem heutigen Hotel Simoncini war eine Institution in Luxemburg.

Tagesgericht-Abonnement

Das Münchner Kindl wurde 1883 von Henri Pulvers im ehemaligen Haus Obsbourg eröffnet, das der Schöffe Jean Obsbourg im 17. Jahrhundert hatte errichten lassen. Die Gaststätte war nach dem berühmten Bier „Münchner Kindl“ benannt, das seit 1880 in der Hauptstadt Bayerns gebraut wurde und für das Pulvers die Lizenz hielt. Der Export dieses Biers nach Luxemburg wurde durch die Zugehörigkeit des Großherzogtums zur Zollunion mit Deutschland, aber auch durch den Schienenverkehr begünstigt, denn so konnten ganze Waggons voller Tonnen Bier angeliefert werden. Ab 1884 verkaufte Pulvers das Münchner Kindl auch in Flaschen.

Das Bierlokal bot montags bis samstags wechselnde Tagesgerichte an, die bei deutschen Geschäftsleuten beliebt waren – neben den Münchner Bieren und dem Gerolsteiner Mineralwasser schätzten sie die deftige Hausmannskost, die sie an die Küche ihrer Heimat erinnerte. Der Presse lässt sich außerdem entnehmen, dass die Gaststätte noch aus einem anderen Grund beliebt war: wegen ihrer „preußischen Kellnerinnen, die die Stadt und das Land verpest(et)en“ (Indépendance luxembourgeoise, 13. Oktober 1886). Anlässlich des Todes von Kaiser Friederich Wilhelm Nikolaus von Preußen (1831–1888) lud der „Deutsche Verein“ die deutschen Staatsbürger im Land zu einem Gedenkabend im Münchner Kindl ein. 1883 wurde die schlesische Tradition des Weihnachtsbaums mit einem Christbaummenü gepflegt. 1884 konsumierte der Karnevalsumzug hier in einer Stunde 1.000 Liter Bier.

Die Kundschaft von Henri Pulvers, der 1886 in Arlon das Bierlokal „Au Caves de Munich“ eröffnete, wurde von den üppigen Gerichten angezogen, die er anlässlich der Schweineschlachtung anbot. Auf seinen Wochenkarten standen Böfflamott-Rinderschmorbraten mit Kartoffelsalat, Rindermagen, Leberknödel mit Sauerkraut, Schnecken und Innereien nach Art des Hauses. Die Kundschaft konnte das Tagesgericht für die Mittagszeit oder den Abend abonnieren.

Ein Ort mit Historie

Der Speisesaal und die übrigen Räume des ehemaligen Sitzes der Familie Obsbourg wurden um 1770 durch den damaligen Eigentümer, den Kaufmann Henri-Ambroise Hencké, umgebaut. Das Gebäude war eines der großen Anwesen der Stadt und hatte einen weitläufigen Innenhof mit Toreinfahrt an der Rue Notre-Dame und Eingang an der Rue de Chimay. Es war mit einem Monogramm in Form von zwei verschränkten „A“ geschmückt. Eine Außentreppe mit einem Schmiedeeisengeländer zierte ein „L“-Medaillon. Insbesondere bei Betrunkenen war die Treppe gefürchtet. Die Pfeiler im großen Saal im Erdgeschoss, in denen sich das Bierlokal befand, schmückten Gemälde von Bruder Abraham Gilson, seines Zeichens Maler im Kloster Orval. In anderen Räumen hingen Gemälde von Millim Gilson, dem Bruder von Abraham, und von Jean-Baptiste Fresez. Sie zeigten das Ehepaar Hencké sowie Szenen zu der Mythenfigur des Telemachos. Ab 1893 wurden diese prächtigen Säle mit beeindruckenden elektrischen Kronleuchtern à 50 Kerzen erhellt. Die Gaststätte, ihr landesweiter Ruf und das gut erhaltene historische Ambiente des ehemaligen Familiensitzes erklären, warum der Professor und Künstler Michel Engels die Gaststätte im selben Jahr in seinem Skizzenalbum „Die feierliche Schlussprozession“ abbildete. 1894 wurden rund um das Anwesen neue Gehwege angelegt. Das schöne Gebäude existierte bis 1963, als sein Eigentümer, Staatsminister Joseph Bech, es an den Architekten Paul Retter verkaufte, der an dieser Stelle ein neues Büro- und Wohnhaus errichtete.

1896 übernahm der „Großhändler für Münchener Bier“, Guillaume Zander, das Münchner Kindl von Henri Pulvers. Guillaume und seine Söhne Joseph und Albert stehen für zwei namhafte Unternehmenergenerationen in Luxemburg. 1898 übernahm Albert Zander das Café de l’Amérique an der Avenue de la Gare. 1910 gründeten Joseph und Albert in Merl die Eisfabrik Zander A. Die Fabrik war bis 1918 in Betrieb. Bis in die 1950er Jahre leitete Albert Zander das Café Augustiner am Place de l’Etoile.

In der Rue Philippe II und an der Avenue de la Gare

1896 erwarb der Jurist Philippe Bech das ehemalige Haus Obsbourg, sodass Guillaume Zander mit seiner Gaststätte umziehen musste. Er erwarb das Haus des Wirts J. B. Wirtgen an der Ecke Rue Saint-Philippe (Rue Philippe II) mit der Rue de la Poste. In diesem imposanten Gebäude mit Gittereingang zum Innenhof befand sich seit 1836 die ehemalige „Auberge de la Boule d’Or – Zur goldenen Kugel“. Das Etablissement lag neben dem Café von Sigisbert Jentgen am Place d’Armes. Die Familie Zander verkaufte das Gebäude 1917 an den Möbelhändler Myrtil Bonn, der dort 1926 den „Palais du Mobilier“ errichtete. 1896 eröffnete Zander an der Ecke Avenue de la Gare mit der Rue de Bonnevoie eine Filiale seines Etablissements. Mehrere Jahre lang betrieb Zander auf der Schobermesse ein temporäres Restaurant.

1900 und 1901 investierte Guillaume Zander umfassend. In der Avenue de la Gare vergrößerte er 1900 das „Gastzimmer“ und bereicherte das Bahnhofsviertel damit „um ein Lokal mit großstädtischem Charakter (…) was die Anziehungskraft auf die vielen hier verkehrenden Fremden gewiss nicht verfehlen wird“ (Bürger- und Beamtenzeitung, 27. März 1900).

Ein Jahr später beauftragte er den Architekten Alphonse Kemp (Badeanstalt 1906) mit dem Umbau des Gebäudes in der Rue Philippe II. Von 1902 bis 1917 war der große Saal in der ersten Etage an die „Société Chorale les Enfants de Luxembourg“ vermietet. Ab 1917 hielt dort der luxemburgische Ingenieurverband seine Sitzungen ab. Für 1919 ist ein Vortrag mit dem Titel „Das Rauchen der Jugendlichen“ von Dr. Klein vermerkt, dem Leiter des Thermalbads in Bad Mondorf.

1901 übernahm Frédéric Reifenstein den Betrieb in der Rue Philippe II und stellte ihn neu auf. Die für das Bier „Augustiner-Bräu“ bekannte Gaststätte spezialisierte sich als Spitzenrestaurant auf französische Küche. Die Kundschaft konnte zum Mittagessen das Tagesgericht abonnieren. Das Restaurant hielt für seine Café-Kundschaft eine Auswahl französischer und deutscher Zeitungen bereit.

Ab 1910 war das Münchner Kindl an der Avenue de la Gare Nr. 35 bei den Notaren der Stadt beliebt, die hier teure Immobiliengeschäfte abwickelten. Bis zu seinem Weggang nach Koblenz 1921 betrieb Nic Grethen die Gaststätte.

Am Place de Paris

Die Gaststätte an der Avenue de la Gare stand bis 1929 unter der Leitung des Cafetiers Henri Seiler. Dann wurde das Gebäude zum Lager der „Färberei, Chem. Reinigungsanstalt und Wäscherei Schwall & Cie“ umgebaut, sodass das Münchner Kindl an den Place de Paris umziehen musste. Die neue Gaststätte wurde zum Treffpunkt des Mandolinenspielervereins und der Elsass-Lothringen-Veteranengesellschaft „zur Pflege des Friedensgedankens“ (Luxemburger Wort, 7. Mai 1932). 1938 engagierte sich Cafetier Joseph Freylinger gegen den Anstieg des Bierpreises. Er organisierte öffentliche Verkaufsaktionen für Luxemburger Moselweine. Die ruhige, friedfertige Kundschaft der Gaststätte liebte das Kartenspiel: „Es sind meist Leute aller Gesellschaftsschichten, die sich in diesem erstklassigen Wein- und Bierlokal zusammenfinden, um einige anregende Stunden im Freundeskreis zu verbringen. Vorwiegend ältere Herren huldigen dem beliebten Kartenspiel und zwar mit einer Energie und Ausdauer, die den stillen Beobachtern Achtung einflößen müssen.“ (Obermoselzeitung, 20. Mai 1939). Nach 1940 wird das Etablissement in der Presse nicht mehr erwähnt.

© Photothèque - Münchner Kindl inconnu 1959 040 

Inscrivez-vous
à la newsletter.

Inscrivez-vous et recevez tous les mois l’actualité shopping de la ville directement par email ! Bon plans, événements phares, nouveaux commerces, ne manquez rien de l’actualité commerçante.

S'inscrire
Neuigkeiten zum Thema Einkaufen in der Stadt